Telemedizin und digitale Innovation: Zukunftsperspektiven für die Versorgung chronisch Kranker

Die Digitalisierung revolutioniert die Gesundheitsversorgung chronisch Kranker: Von Telemonitoring und Wearables bis hin zu Künstlicher Intelligenz – neue Technologien verbessern die Patientenbetreuung. SEMDATEX hat mit Dr. Thomas M. Helms, einem erfahrenen Kardiologen, ehrenamtlichen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke und Berater der Bundesregierung in Fragen der Telemedizin, sowie Dr. Bianca Steiner, Medizininformatikerin und stellvertretende Leiterin Innovationen im Gesundheitswesen der Stiftung, über Chancen, Herausforderungen und konkrete Einsatzmöglichkeiten gesprochen.

Fotos: © Deutsche Stiftung für chronisch Kranke, Dr. Bianca Steiner, Dr. Thomas M. Helms

Zu den Personen

Dr. Bianca Steiner

Frau Dr. Bianca Steiner ist Medizininformatikerin und seit September 2023 stellvertretende Leiterin Innovationen im Gesundheitswesen in der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke (DScK). Frau Dr. Steiner wirkt in verschiedenen nationalen und internationalen Projekten zu digitalen Innovationen im Gesundheitswesen mit. Darüber hinaus leitet Sie die bundesweite Qualitätssicherungsmaßnahme DOQUVIDE: Dokumentation der Qualität bei Erhebung von Vitalparametern durch implantierte Devices. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der patientenzentrierten Entwicklung und Evaluation von Assistierenden Gesundheitstechnologien für chronisch kranke Menschen sowie in der Erforschung und Umsetzung von Maßnahmen zur Adhärenz- und Motivationssteigerung in digitalgestützten Versorgungsprozessen, wie z. B. der Telemedizin.

Dr. Thomas M. Helms

Herr Dr. Thomas M. Helms ist ein erfahrener Spezialist für Innere Medizin und Kardiologie. Herr Dr. Helms ist ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke (DScK). Er ist Direktor der Peri Cor Arbeitsgruppe Kardiologie / Ass. UCSF, die sich auf interventionelle Kardiologie und klinisch invasive Elektrophysiologie spezialisiert hat. Als Cluster Sprecher des Ausschusses eCardiology für den Bereich „Gesellschaft und Politik“ in der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK) setzt er sich intensiv für die Weiterentwicklung digitaler und telemedizinischer Konzepte ein. Darüber hinaus ist Dr. Helms medizinisch wissenschaftlicher Berater für die Bundesregierung, die verschiedenen Gremien in der Selbstverwaltung und die Bundesärztekammer in Fragen der Telemedizin und der Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen. Sein besonderes Augenmerk liegt auf dem Nachweis des Nutzens und der nachhaltigen Integration innovativer Versorgungskonzepte im Gesundheitswesen.


SEMDATEX: Dr. Helms, als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke und Experte für eCardiology beschäftigen Sie sich intensiv mit der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung. Welche Rolle spielt Telemedizin aus Ihrer Sicht aktuell in der Behandlung von chronisch kranken Patienten?

Dr. Helms: Grundsätzlich ermöglicht die Telemedizin sowohl diagnostische als auch therapeutische Maßnahmen über eine zeitliche und/oder räumliche Distanz hinweg und verbessert damit sowohl die Prävention und Diagnostik als auch die Behandlung chronischer Erkrankungen. Durch den Einsatz telemedizinischer Anwendungen kann unter anderem der Zugang zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen verbessert werden. Insbesondere in ländlichen oder unterversorgten Regionen (geringe Ärztedichte) kann Telemedizin einen wichtigen Beitrag zur kontinuierlichen Betreuung chronisch kranker Menschen leisten. Darüber hinaus können Ressourcen wie Fahrzeiten und Fahrtkosten eingespart werden. Dies ist nicht nur in ländlichen Regionen, sondern auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen relevant. Auch auf Seiten der Behandelnden können Ressourcen eingespart bzw. effizienter genutzt werden. Durch den Einsatz von Telemedizin kann nicht nur die Anzahl der (unnötigen) Arztbesuche verringert werden, sondern auch mehr Zeit in Patient*innen mit komplexeren Behandlungsverläufen investiert werden. So können beispielsweise bei Patient*innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wesentliche Gesundheitsparameter wie Herzfrequenz, Blutdruck und Gewicht auch in der Häuslichkeit erhoben, an den Behandelnden oder an ein telemedizinisches Zentrum weitergeleitet und dort ausgewertet werden. So können Verschlechterungen des Gesundheitszustandes bis hin zur Dekompensation frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen, wie z.B. eine Anpassung der Medikation, rechtzeitig eingeleitet werden. In der Folge können Krankenhauseinweisungen vermieden werden. Auch einfache telemedizinische Anwendungen wie Videosprechstunden, bei denen keine Gesundheitsparameter übertragen werden, können zu mehr Flexibilität und Effizienz beitragen. Sie erleichtern den Austausch zwischen Patient*innen und Behandler*innen, reduzieren den Zeitaufwand für Kontrolltermine und verlagern Routineaufgaben. Außerdem werden die Patient*innen so stärker in ihren eigenen Versorgungsprozess eingebunden. Dies fördert auch die Eigenverantwortung der Patienten im Umgang mit ihrer Erkrankung.

Sie sind Mitglied verschiedener Ausschüsse und Arbeitsgruppen, die sich mit der digitalen Transformation im Gesundheitswesen befassen. Welche konkreten Fortschritte konnten Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren im Bereich der Digitalisierung in der Kardiologie erzielt werden, und wo sehen Sie noch die größten Herausforderungen?

Wesentliche Fortschritte wurden unter anderem im Bereich der Telekardiologie erzielt. Ein Meilenstein ist der im Dezember 2020 in Kraft getretene Beschluss des GB-A zur Telemedizin bei Herzinsuffizienz, der nicht nur ein datengestütztes Management von Patienten mit Herzinsuffizienz ermöglicht, sondern diese Leistung auch als neue Gebührenordnungsposition in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab aufnimmt. Die strukturierte telemedizinische Versorgung stellt dabei eine Ergänzung des ambulanten Angebots der Krankenkassen dar, um eine lückenlose telemedizinische Betreuung von Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz zu ermöglichen. Grundlage des Behandlungskonzeptes ist die Kooperation zwischen telemedizinischen Zentren und niedergelassenen Ärzten.

Welche Rolle spielt die Qualitätssicherung bei der strukturierten telemedizinischen Versorgung, und welche Maßnahmen sehen Sie hier als notwendig an?

Trotz bestehender Qualitätssicherungsvereinbarungen (QS-V TmHi), die die fachlichen und technischen Voraussetzungen für die Durchführung und Abrechnung der Leistungen regeln, fehlen jedoch geeignete weiterführende Qualitätssicherungsmaßnahmen. Auch Zertifizierungskonzepte für Telemedizinzentren, wie das Zertifizierungskonzept der DGK, sollten weiter diskutiert werden. Wesentlich für die Telekardiologie ist auch die gemeinsame Abrechnungsempfehlung von Bundesärztekammer (BÄK) und PKV-Verband zum Telemonitoring bei chronischer Herzinsuffizienz. Die zunächst von Januar 2024 bis Ende 2026 geltende Empfehlung verbessert die PKV-Vergütung des Telemonitorings bei Herzinsuffizienz deutlich und bezieht neben kardialen Aggregaten auch externe Geräte mit ein. Der PKV-Abschluss ermöglicht damit einen wirtschaftlichen Betrieb des Telemonitorings. Dabei berücksichtigt der PKV-Abschluss auch die neueste Evidenz zur Wirksamkeit von Telemonitoring im gesamten LVEF-Spektrum. Jedoch besteht auch hier Nachbesserungsbedarf bezüglich der bisher berücksichtigten Einschlusskriterien (NYHA II-III, EF <40%; EF >40% mit mindestens einer Hospitalisierung wegen kardialer Dekompensation im Zeitraum 12 Monate vor Beginn des Telemonitorings), um möglichst viele Patient*innen einbeziehen zu können. Darüber hinaus besteht ein erheblicher Schulungsbedarf für ärztliches und nichtärztliches Personal, um ein flächendeckendes Telemonitoring nachhaltig in der Praxis umzusetzen.

Wie können neue Technologien wie Wearables, Gesundheits-Apps und KI Ihrer Meinung nach die Kardiologie weiter voranbringen, und wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Diese Entwicklungen treiben ohne Zweifel die Digitalisierung in der Kardiologie voran. So steigt unter anderem die Akzeptanz von Wearables und anderen mobilen Gesundheitsanwendungen (mHealth) als Ergänzung zur klassischen Gesundheitsversorgung. Beispielsweise können mit Smartwatches Vitalparameter oder ein einfaches Einkanal-EKG aufgezeichnet werden, um Hinweise auf Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern zu erfassen. Darüber hinaus werden zunehmend Gesundheits-Apps entwickelt, die Patienten im Umgang mit ihrer Erkrankung unterstützen und ihre Selbstmanagementfähigkeiten stärken. Dabei geht es häufig nicht nur um Aufklärung, z. B. in Form von E-Learning, und das Monitoring von Gesundheitsparametern, sondern auch um algorithmenbasierte Handlungsempfehlungen und Therapieentscheidungen. Durch die Anerkennung solcher Anwendungen als Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) wird es möglich, diese als „App auf Rezept“ zu verordnen.

Welche Hürden bestehen bei der Aufnahme mobiler Gesundheitsanwendungen in das DiGA-Verzeichnis? Mit welchen Maßnahmen kann der Markt für digitale Gesundheitsanwendungen verbessert werden?

Die Einstufung als DiGA unterliegt jedoch strengen Anforderungen an die medizinische Zweckbestimmung der App und die Risikoeinstufung als Medizinprodukt. Hinzu kommen immense Anforderungen an den Datenschutz, den Nachweis der Evidenz sowie die Zertifizierung als Medizinprodukt, die es Herstellern erschweren, ihre Apps in das DiGA-Verzeichnis aufnehmen zu lassen. Im DiGA-Verzeichnis finden sich daher bisher nur wenige Anwendungen, die auch nur vorläufig in das DiGA – Verzeichnis aufgenommen wurden und damit von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden können. Eine weitere Herausforderung beim Einsatz mobiler Apps ist die Überflutung des Marktes durch eine Vielzahl von Apps in den App Stores und eine unzureichende Qualitätssicherung. So sind viele der verfügbaren Apps nicht qualitätsgeprüft. Ansätze wie die CHARISMAH*-Studie versuchen, dieses Problem zu lösen.

Welche Potenziale sehen Sie im Einsatz von KI für die Verbesserung der Diagnostik und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und welche Herausforderungen müssen überwunden werden, um diese Technologien flächendeckend einzusetzen?

Entwicklungen im Bereich der KI tragen auch zur Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei. So kann KI zur Berechnung der Vortestwahrscheinlichkeit bei Patienten mit Verdacht auf koronare Herzkrankheit eingesetzt werden, um eine bessere Risikostratifizierung gefährlicher Verengungen der Herzkranzgefäße zu erreichen. KI kann aber nicht nur die Risikoabschätzung von Herz-Kreislauf- Erkrankungen unterstützen, sondern auch die Diagnostik und Therapie. So kann KI die Analyse von 12-Kanal-EKGs erleichtern oder personalisierte Therapieentscheidungen treffen, indem verschiedene Gerätetherapien gegeneinander abgewogen werden. Immer beliebter werden auch Chatbots, die zur Patientenaufklärung und zur Unterstützung des Selbstmanagements eingesetzt werden. So können Ängste abgebaut, Verhaltensänderungen gefördert und Arztbesuche reduziert werden. Herausforderungen beim Einsatz von KI in der Kardiologie sind jedoch die Nachvollziehbarkeit und Transparenz von Entscheidungen, Haftungs- und Zulassungsfragen sowie die Vereinbarkeit mit sozialen und beruflichen Normen. Zudem können KI-Anwendungen das Arzt-Patienten-Verhältnis negativ beeinflussen. Handlungsbedarf besteht weiterhin in den Bereichen Interoperabilität, Datenschutz und flächendeckender Einsatz.

Nehmen wir ein Beispiel: Das Projekt DOQUVIDE* hat die Dokumentation sowie Qualitätsverbesserung der Versorgung chronisch Kranker zum Ziel. Können Sie uns mehr über das Projekt erzählen und wie es in der Praxis zur Optimierung der Gesundheitsversorgung von Patienten mit Herzschrittmachern beiträgt? Welche Hürden sind Ihnen bei der Umsetzung begegnet?

DOQUVIDE ist ein Messinstrument zur Erfassung der Versorgungsrealität ambulant telekardiologisch betreuter Patienten mit implantierten Schrittmacher- / ICD-/ CRT-P- / CRT-D-Devices und Ereignisrekordern. Ergänzend zu kardialen Ereignissen und Vitalparametern, die telemedizinisch von Patienten mit telekardiologischen Aggregaten gewonnen werden, erfasst DOQUVIDE das diagnostische und therapeutische Prozedere nach Ereignismeldung. Hierzu werden vier selbstentwickelte, standardisierte Formulare, sogenannte Ereignisbögen, verwendet. Welcher Ereignisbogen vom monitorenden Arzt bzw. qualifizierten Mitarbeiter im elektronischen Dokumentationssystem auszufüllen ist, hängt im Wesentlichen vom zugrundeliegenden kardialen Ereignis ab: (1) pathologische Vorhofflimmerlast, (2) stattgefundene Gerätetherapie – ATP oder Schock, (3) Bradykardie, Tachykardie oder neu aufgetretenes Vorhofflimmern, (4) ventrikuläre Hochfrequenzepisoden. Nach Meldung eines kardialen Ereignisses durch ein Aggregat wird vom elektronischen Dokumentationssystem automatisch der zugehörige Ereignisbogen generiert und eine entsprechende Aufgabe im System hinterlegt. Die an DOQUVIDE teilnehmenden Praxen/Kliniken erhalten quartalsweise und jährlich Berichte zur Überprüfung der Dokumentationsqualität. DOQUVIDE leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Telekardiologie in Deutschland. Indem DOQUVIDE die telekardiologische Versorgungsrealität detailliert analysiert, trägt die Qualitätssicherungsmaßnahme zur Weiterentwicklung und unabhängigen Bewertung der Effektivität und Effizienz des ambulanten kardialen Telemonitorings bei (Qualitätssicherung). Auf politischer Ebene unterstützen die Ergebnisse die Entwicklung eines einheitlichen Qualitätsstandards, fördern die Transparenz der Versorgung und zeigen Effizienzpotenziale auf. DOQUVIDE bietet darüber hinaus eine abrechnungsfähige Alternative zum „Telemonitoring bei Herzinsuffizienz“. So können in DOQUVIDE alle Patienten mit verschiedenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie z. B. dem Sick-Sinus- Syndrom oder einem atrioventrikulären Block in unterschiedlichen Schweregraden, eingeschlossen werden, die bisher nicht ins strukturierten Telemonitoring bei Herzinsuffizienz eingeschlossen werden können. Eine Herausforderung bei DOQUVIDE stellt die Datenerfassung dar. So basieren die Auswertungen lediglich auf Eingaben der monitorenden Ärzte. Bisher existieren keine Schnittstellen zu Primärsystemen, um bspw. Zugriff auf den elektronischen Medikationsplan eines Patienten zu erhalten und dementsprechend eine vollständige Medikationsliste in DOQUVIDE zu integrieren. Dies wirkt sich nicht nur negativ auf die Datenqualität aus, sondern auch auf die Akzeptanz der Behandelnden. Diese müssen neben ihrem Primärsystem ein zusätzliches Anwendungssystem, die inSuite DOQUVIDE, installieren, aufrufen und bedienen. Auch wenn die auszufüllenden Ereignisbögen möglichst simpel gestaltet sind, sind dennoch manuelle Dateneingaben erforderlich, was Zeit in Anspruch nimmt, die im Praxisalltag nur selten verfügbar ist.

Die Integration von Telemedizin in die Gesundheitsversorgung wird oft als die Lösung schlechthin zur Entlastung des Gesundheitssystems diskutiert. Wo sehen Sie die größten Vorteile, aber auch mögliche Risiken, wenn es um den verstärkten Einsatz von Telemedizin bei der Versorgung chronisch Kranker geht?

Wie bereits angemerkt, bietet die Telemedizin viele Vorteile für die Versorgung chronisch Kranker Menschen. Einer der größten Vorteile ist die Verbesserung des Zugangs zur Versorgung. Patienten, insbesondere in ländlichen oder unterversorgten Gebieten, können ohne lange Anfahrtswege regelmäßige Betreuung erhalten. Dies ist besonders für mobilitätseingeschränkte oder ältere Patienten von Bedeutung. Außerdem kann Telemedizin die Gesundheitsversorgung selbst verbessern, indem sie ein kontinuierliches Monitoring von Gesundheitsparametern ermöglicht. Diese „Echtzeitüberwachung“ kann dazu beitragen, gesundheitliche Verschlechterungen frühzeitig zu er – kennen und Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Damit trägt Telemedizin insbesondere zur Prävention und Diagnostik bei, kann aber auch in der Therapie genutzt werden, bspw. zur kontrollierten Durchführung therapeutischer Übungen. Ein weiterer Vorteil liegt in der patientenzentrierten Versorgung. Digitale Tools fördern das Selbstmanagement und die Eigenverantwortung der Patienten, indem sie einen besseren Überblick über den Krankheitsverlauf bieten. Weiterhin können Ressourcen auf Patienten und Behandler Seite reduziert bzw. effizienter eingesetzt werden. Besonderes potenzial zeigt sich dabei beim Einsatz von KI zur automatisierten Auswertung telemedizinisch gewonnener Daten, auch in Kombination mit klinischen Daten. Eine zentrale Herausforderung ist die Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit. Die sensiblen Gesundheitsdaten chronisch Kranker sind ein attraktives Ziel für Cyberangriffe, weshalb höchste Sicherheitsstandards erforderlich sind. Zudem könnte die digitale Spaltung ein Problem darstellen, da nicht alle Patienten über die technischen Geräte oder Kompetenzen verfügen, um Telemedizin effektiv zu nutzen. Dies betrifft vor allem ältere oder sozioökonomisch benachteiligte Gruppen. Ein weiteres Risiko besteht in der möglichen Entpersonalisierung der Versorgung. Die rein digitale Interaktion könnte das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis schwächen, das für viele Patienten ein wichtiger Bestandteil der Therapie ist. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Qualität der Versorgung nicht leidet. Wichtig dabei ist, dass Telemedizin niemals einen Ersatz für etablierte Behandlungsverfahren und insbesondere für Behandler darstellen sollte, sondern lediglich eine Ergänzung dieser.

Was hat sich in den letzten Jahren im Bereich der Regulierung, Qualitätssicherung und des Datenschutzes im Kontext der digitalen Gesundheitsversorgung verändert?

Ein zentraler Fortschritt in der Regulierung war die Einführung des Digitalen-Versorgungs- Gesetzes (DVG) in Deutschland. Es ermöglicht Ärzten, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) wie Apps auf Rezept zu verschreiben. Dies hat nicht nur die Nutzung digitaler Tools in der Patientenversorgung gefördert, sondern auch klare Rahmenbedingungen für deren Zulassung geschaffen. Hersteller müssen beispielsweise im DiGA-Fast-Track- Verfahren nachweisen, dass ihre Anwendungen einen positiven Versorgungseffekt haben. Diese regulatorischen Anforderungen tragen entscheidend zur Qualitätssicherung bei. Im Bereich der Qualitätssicherung ist zudem der Fokus auf evidenzbasierte Medizin stärker in den Vordergrund gerückt. Digitale Anwendungen müssen nicht nur funktional, sondern auch medizinisch wirksam und sicher sein. Standards wie die Interoperabilitätsrichtlinie fördern die Integration verschiedener Systeme und verbessern so den Datenaustausch zwischen Akteuren im Gesundheitswesen. Beim Datenschutz hat die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) europaweit neue Maßstäbe gesetzt. Sie definiert strikte Vorgaben für die Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten und stärkt die Rechte der Patienten, beispielsweise durch die Pflicht zur Einwilligung und transparente Informationen über die Nutzung ihrer Daten. Für digitale Gesundheitsanwendungen und telemedizinische Lösungen bedeutet dies, dass höchste Sicherheitsstandards wie Verschlüsselung, Zugriffskon – trollen und regelmäßige Sicherheitsaudits eingehalten werden müssen. Trotz dieser Fortschritte bleiben Herausforderungen, insbesondere im Bereich der praktischen Umsetzung. Die Balance zwischen Innovations – förderung und strenger Regulierung ist sensibel, da überzogene Vorgaben die Markteinführung neuer Technologien verzögern können. Auch die Interoperabilität und Standardisierung sind weiterhin im Aufbau, um die Nutzung digitaler Gesundheitslösungen flächendeckend zu ermöglichen.

Sie sind auch Mitglied des Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ der Bundesärztekammer. Welche Rolle spielt die Politik bei der Umsetzung digitaler Gesundheitslösungen, und wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen medizinischen Fachleuten und politischen Entscheidungsträgern, um diese Transformation zu unterstützen?

Die Politik spielt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung digitaler Gesundheitslösungen, da sie den rechtlichen und finanziellen Rahmen schafft, der Innovationen ermöglicht oder ausbremst und gleichzeitig die Sicherheit und Qualität der Versorgung gewährleistet. Durch Gesetzgebungsinitiativen wie das Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG) oder das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) hat die Politik entscheidende Impulse gesetzt, um digitale Technologien stärker in die Gesundheitsversorgung zu integrieren. Sie fördert sowohl die Entwicklung als auch die Einführung neuer Lösungen, beispielsweise durch gezielte Fördermittel für digitale Infrastruktur und Technologien in Kliniken. Die Zusammenarbeit zwischen medizinischen Fachleuten und politischen Entscheidungsträgern ist für eine erfolgreiche digitale Transformation essenziell. In Gremien wie dem Ausschuss „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ der Bundesärztekammer arbeiten Ärztinnen und Ärzte eng mit politischen Akteuren zusammen, um ihre praktischen Erfahrungen und Perspektiven in die Gestaltung von Gesetzen und Verordnungen einzubringen. Diese Zusammenarbeit gewährleistet, dass digitale Gesundheitslösungen nicht nur technisch innovativ, sondern auch alltagstauglich und patientenzentriert sind. Trotz dieser Bemühungen bleibt die Zusammenarbeit oft eine Herausforderung. Die Geschwindigkeit, mit der politische Entscheidungen getroffen werden, steht manchmal im Widerspruch zur Dynamik der technologischen Entwicklung und den Anforderungen der medizinischen Praxis. Es ist daher wichtig, den Dialog zwischen den Akteuren weiter zu intensivieren und Flexibilität in der Umsetzung zu gewährleisten.

Die Telemedizin hat das Potenzial, die Gesundheitsversorgung nachhaltig zu verändern. Wie sehen Sie die Zukunft der Telemedizin, insbesondere im Hinblick auf Deutsche Stiftung die alternde Gesellschaft, und welche neuen Technologien könnten für chronisch Kranke Ihrer Meinung nach hier einen Unterschied machen?

Die Telemedizin wird in der Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen, ins – besondere vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft. Mit der Zunahme chronischer Erkrankungen und einem steigenden Bedarf an konti – nuierlicher medizinischer Betreuung bietet die Telemedizin Lösungen, um die Gesundheitsversorgung effizienter und patientenorientierter zu gestalten. Sie kann dazu beitragen, die ärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten zu sichern, Wartezeiten zu verkürzen und den Zugang zu spezialisierten medi – zinischen Leistungen zu erleichtern. Für ältere Menschen, die oft mehrfach erkrankt sind und regelmäßige Betreuung benötigen, bietet die Telemedizin eine enorme Entlastung. Durch digitale Konsultationen und telemedizinisches Monitoring können sie in ihrer vertrauten Umgebung verbleiben und dennoch eine engmaschige Überwachung ihrer Gesundheitsparameter erhalten. Dies fördert nicht nur die Lebensqualität, sondern kann auch Krankenhausaufenthalte und Notfälle reduzieren. Neue Technologien könnten diesen Wandel weiter beschleunigen. Wearables und Sensoren ermöglichen beispielsweise eine kontinuierliche Überwachung von Vitalparametern wie Herzfrequenz, Blutdruck oder Sauerstoffsättigung. Diese Geräte, kombiniert mit Künstlicher Intelligenz (KI), können Gesundheitsdaten analysieren und frühzeitig Warnsignale für kritische Zustände erkennen. KI-gestützte Systeme könnten Ärzten zudem helfen, personalisierte Therapiepläne zu erstellen und Muster in Gesundheitsdaten zu identifizieren, die manuell schwer zu erkennen wären. Ein weiteres zukunftsweisendes Feld ist die robotergestützte Telemedizin. Roboter könnten nicht nur bei der Fernüberwachung, sondern auch in der häuslichen Pflege eingesetzt werden, um ältere Menschen bei alltäglichen Aufgaben zu unterstützen oder sie an die Einnahme von Medikamenten zu erinnern. Auch Virtuelle Realität und Augmented Reality könnten in der Telemedizin Anwendung finden, etwa für Rehabilitationsprogramme, die Patienten bequem von zu Hause aus durchführen können. Trotz aller Chancen bleiben Herausforderungen. Insbesondere ältere Menschen benötigen Unterstützung im Umgang mit digitalen Technologien, und nicht alle haben Zugang zu stabilen Internetverbindungen oder den erforderlichen Geräten. Darüber hinaus sind Datenschutz und Datensicherheit zentrale Themen, die mit dem zunehmenden Einsatz von Telemedizin und sensiblen Gesundheitsdaten noch stärker in den Fokus rücken.

*DOQUVIDE: Dokumentation der Qualität bei Erhebung von Vitalparametern durch implantierte Devices

**CHARISMHA-Studie: Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA) | BMG

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