Wie Telemedizin die Behandlung von Herzinsuffizienz revolutioniert – Ein Gespräch mit Prof. Dr. Friedrich Köhler

Im Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Friedrich Köhler erfahren wir, wie Telemedizin die Behandlung von Herzinsuffizienz verändert und welche Entwicklungen in der digitalen Medizin bevorstehen. Darüber hinaus gibt er spannende Einblicke in seine TIM-HF-Studien, die den Einfluss von Telemedizin und künstlicher Intelligenz auf die Behandlung von Herzinsuffizienz weiter untersuchen und maßgeblich beeinflussen. Lesen Sie mehr im exklusiven Interview.


Zur Person

Univ.-Prof. Dr. med. Friedrich Köhler ist Leiter des Arbeitsbereichs Kardiovaskuläre Telemedizin und Oberarzt für Kardiologie an der Charité in Berlin. Er ist zudem Fellow of the European Society of Cardiology (FESC) - ein Ehrentitel, der Medizinern verliehen wird, die einen bedeutenden Beitrag zur Kardiologie geleistet haben. Prof. Friedrich ist Experte für Herzinsuffzienz, Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH), Telemedizin, Remote Patient Management und digitale Medizin.


SEMDATEX: Prof. Köhler, Sie haben die TIM-HF2-Studie geleitet, die den Nutzen von telemedizinischem Monitoring bei Herzinsuffizienz-Patienten in Deutschland mithilfe von externen Sensoren untersucht hat. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie, und welche Auswirkungen hatten diese auf die Versorgungspraxis von Patienten? 

Prof. Köhler: Die TIM-HF2-Studie hat gezeigt, dass Telemedizin, insbesondere durch den Einsatz externer Sensoren, einen signifikanten positiven Effekt auf die Lebenserwartung und die Reduktion von Krankenhausaufenthalten bei Patienten mit Herzinsuffizienz hat. Wichtig war dabei, dass nicht die Sensoren an sich, sondern die umfassende, telemedizinische Betreuung den Unterschied machte. Diese Ergebnisse führten dazu, dass Telemedizin innerhalb kurzer Zeit in die Regelversorgung integriert wurde, was eine schnelle und bedeutende Veränderung in der Patientenversorgung darstellt.

 

Können Sie uns bereits einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der TIM-HF3- und TIM-HF4 Studien geben? Welche neuen Aspekte der telemedizinischen Versorgung möchten Sie mit diesen Studien erforschen?

Die TIM-HF3-Studie untersucht, wie künstliche Intelligenz in die Befundung von Herzinsuffizienz-Patienten integriert werden kann. Wir befinden uns derzeit in der Auswertungsphase dieser Studie. In der TIM-HF4-Studie, die im Mai 2025 startet, werden wir die Wirksamkeit von Telemedizin in der Regelversorgung untersuchen. Diese Studie wird deutschlandweit an 100 Zentren durchgeführt und soll die Effizienz der Telemedizin im Alltag der Versorgung dokumentieren.

 

Welche Herausforderungen begegnen Medizinern aktuell bei der flächendeckenden Umsetzung telekardiologischer Angebote in Deutschland? Gibt es bereits andere europäische Länder, in denen die telemedizinische Versorgung im Bereich der Kardiologie weiter entwickelt ist?

Die flächendeckende Einführung telemedizinischer Angebote in Deutschland stößt auf Herausforderungen wie Vergütung, Datenschutz, technische Anforderungen und Qualitätssicherung. Darüber hinaus müssen in den Praxen neue Arbeitsprozesse eingeführt und medizinische Fachangestellte geschult werden, was Zeit und Anpassung erfordert. Dennoch gibt es positive Beispiele aus anderen europäischen Ländern, wie etwa Frankreich, wo Telemedizin bereits fest in die Regelversorgung integriert ist. Hier existieren erste reale Daten, die teils sogar bessere Ergebnisse liefern als die Ergebnisse aus klinischen Studien.

 


Das Deutsche Herzzentrum der Charité (DHZC)

Das DHZC ist eine führende Klinik für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die exzellente Versorgung und umfassende Informationen für Patient:innen bietet. Als eines der Top-Zentren in Europa und weltweit fördert das DHZC interdisziplinäre Zusammenarbeit und berufliche Weiterentwicklung. Ärzt:innen können an innovativen Forschungsprojekten teilnehmen, neue Therapien entwickeln und von modernen Laboren sowie Stipendien profitieren. Forschung und klinische Praxis sind eng miteinander verknüpft und kommen den Patient:innen zugute.


Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie die koronare Herzkrankheit (KHK) und Herzinsuffizienz treten häufig zusammen mit Komorbiditäten wie Diabetes und Adipositas auf. Wie kann Telemedizin Ihrer Meinung nach dabei helfen, diese zusätzlichen Risikofaktoren besser zu managen und die Lebensqualität der Patienten langfristig zu verbessern?

Telemedizin bietet viel Potenzial im Bereich der primären Prävention und der Kontrolle von Risikofaktoren wie Adipositas und Diabetes. Die Technik zur Unterstützung bei der Gewichtskontrolle und der Anpassung neuer Medikamente ist bereits weit entwickelt. Allerdings fehlt es noch an soliden, evidenzbasierten Daten, die den konkreten Nutzen von Telemedizin bei der Behandlung dieser Komorbiditäten belegen. Deshalb sind die entsprechenden Anwendungen bisher nicht ausreichend vergütet, was die breite Umsetzung erschwert.

 

Telemonitoring setzt auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Patienten, Hausärzten, Kardiologen und dem telemedizinischen Zentrum (TMZ). Wie wichtig ist diese interdisziplinäre Zusammenarbeit, welche Hürden begegnen Ärzten und medizinischem Fachpersonal und wie können diese überwunden werden?

Die enge Zusammenarbeit zwischen Hausärzten, Kardiologen und Telemedizinischen Zentren (TMZ) ist entscheidend für den Erfolg von Telemonitoring. In den meisten Fällen sind die telemedizinischen Zentren kardiologische Praxen, was keine großen Hürden verursacht. Schwierigkeiten entstehen jedoch, wenn es um die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen medizinischen Fachrichtungen geht. Telemedizin sollte nicht als Ersatz für die klassische Präsenzmedizin, sondern als integrativer Bestandteil des Versorgungssystems betrachtet werden.

 

Wie können Patienten aus Ihrer Sicht in der Zukunft noch stärker in ihre Behandlung involviert werden, insbesondere in Hinblick auf die neuen ESC-Leitlinien für Patienten mit chronisch-koronarer Herzkrankheit?

Hier gibt es mehrere Wege, die man gehen kann. Mobile Applikationen wie die DiGA (Digitale Gesundheitsanwendungen) beispielsweise sind darauf ausgelegt, das Selbstmanagement der Patienten zu fördern und ihren Alltag zu erleichtern. Es geht nicht darum, neue Krankheitsbilder zu entdecken, sondern vielmehr darum, individuelle Therapieansätze für jeden Patienten zu entwickeln. So kann die digitale Unterstützung besser auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt werden. Dies ist ein wichtiger Schritt, um Patienten noch stärker in die eigene Behandlung einzubeziehen und ihre Lebensqualität zu verbessern.

 

Technologie spielt eine Schlüsselrolle beim Telemonitoring. Welche technischen Innovationen oder Fortschritte erwarten Sie in den nächsten Jahren, die das Monitoring von Herzinsuffizienz-Patienten weiter verbessern könnten?

In den kommenden Jahren erwarte ich, dass die derzeit verfügbaren Wearables als Medizinprodukte zertifiziert werden und die Patientenüberwachung durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz noch effizienter und skalierbarer wird. Die Technologie, die wir heute nutzen, wird in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich durch noch fortschrittlichere Systeme ersetzt, die eine breitere Anwendung und eine genauere, datengetriebene Betreuung ermöglichen. Die Herausforderung besteht dabei jedoch auch darin, dass die Hersteller von Technologien oft nicht die Verantwortung für Medizinprodukte übernehmen wollen, was die Integration in die klinische Praxis erschwert. Dennoch sind die Fortschritte in der Telemedizin und der digitalen Gesundheitsversorgung ein vielversprechender Weg, um die Patientenversorgung nachhaltig zu verbessern und die Zukunft der Medizin entscheidend zu gestalten.


Vielen Dank für das Gespräch!

 

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